Wer backt den Kuchen – und wer macht Karriere? Über unsichtbare Aufgaben und stille Machtverschiebungen
Inhalt
In vielen Unternehmen gehört es zum guten Ton: Jemand bringt den Geburtstagskuchen mit, räumt nach dem Meeting die Kaffeetassen weg, kümmert sich um das Protokoll oder organisiert ein kleines Willkommensgeschenk für neue Kolleg:innen. Diese Aufgaben wirken nebensächlich – sind es aber keineswegs. Sie halten Teams zusammen, stärken die Arbeitskultur und sorgen für reibungslose Abläufe. Ohne diese Care-Arbeit – ja, auch in Unternehmen gibt es sie – würde vieles langsamer, kühler, konfliktreicher laufen. Was jedoch oft übersehen wird: Diese sogenannten „unsichtbaren Aufgaben“ werden fast immer von denselben Personen übernommen – und zwar überproportional häufig von Frauen.
Studien zeigen, dass Frauen im Schnitt über 200 Stunden pro Jahr in solche Tätigkeiten investieren. Das entspricht rund fünf Arbeitswochen – fünf Wochen, in denen sie nicht an ihrer strategischen Positionierung, am nächsten Karriereschritt, oder an ihrer Sichtbarkeit im Unternehmen arbeiten können. Gleichzeitig nutzen viele männliche Kollegen genau diese Zeit – und haben am Ende häufig die besseren Chancen auf Beförderung.
Die leisen Lücken in der Gleichstellung
Wir sprechen viel über Frauen in Führung. Über Quoten. Über den Gender Pay Gap. Doch selten richten wir den Blick auf die Strukturen, die schon weit vor der ersten Beförderung darüber entscheiden, wer aufsteigen darf – und wer nicht. Eine dieser Strukturen ist die stille Verteilung von sogenannten „nicht-karriereförderlichen Aufgaben“.
Der Begriff „Office Housekeeping“ ist sperrig – und leider ziemlich treffend. Gemeint ist damit alles, was Teams zusammenhält, aber in keiner Leistungsbewertung auftaucht: das Aufräumen nach Meetings, das mentale Mitdenken von Geburtstagen, das Vermitteln in Konfliktsituationen, die emotionale Sorgearbeit.
Das Paradoxe daran: Wer diese Aufgaben übernimmt, tut scheinbar „das Richtige“ – wird aber genau dafür nicht belohnt. Im Gegenteil: Wer sich engagiert, wird als teamorientiert, freundlich und hilfsbereit wahrgenommen. Alles Eigenschaften, die selten mit Führungsverantwortung oder Entscheidungsstärke in Verbindung gebracht werden.
Ein System, in dem Engagement nicht immer belohnt wird – und das bestimmte Erwartungen systematisch reproduziert
Die Forschung bestätigt: Es gibt systematischen Unterschiede darin, wem solche Aufgaben angeboten werden – und wer sie ablehnt. In einer viel beachteten Studie der Wirtschaftswissenschaftlerin Linda Babcock und ihres Teams („The Cost of Being Nice“, 2022) wurde gezeigt, dass Frauen in gemischten Teams in 44% der Fälle um zusätzliche, nicht karrierefördernde Aufgaben gebeten werden – Männer hingegen nur in 26%. Noch gravierender ist, dass Frauen seltener „Nein“ sagen. Nicht aus Gefälligkeit, sondern aufgrund tief verinnerlichter Erwartungen: Frauen sollen hilfsbereit sein. Sie sollen sich kümmern. Und wenn sie es nicht tun, gelten sie schnell als schwierig oder nicht teamfähig. Das führt zu einem doppelten Dilemma: Wer hilft, wird übersehen. Und wer sich verweigert, riskiert Ablehnung. So werden Karrieren blockiert– nicht wegen mangelnder Kompetenz, sondern wegen übermäßiger Rücksichtnahme.
Vom Erwartungsdruck zur strukturellen Falle
Genau hier liegt das strukturelle Problem. Denn wenn Frauen – oft unbewusst – die Aufgaben übernehmen, die zwar wichtig, aber nicht karrierefördernd sind, verlieren sie die Zeit und den Raum für das, was sie tatsächlich weiterbringen würde: Projektverantwortung, inhaltliche Profilierung, strategische Netzwerkarbeit. Die Folge ist ein massiver Wettbewerbsnachteil, der sich im Laufe der Jahre verstärkt: weniger Sichtbarkeit, weniger Gehalt, weniger Aufstiegschancen. Das hat mit individuellen Entscheidungen weniger zu tun, als mit sozialisierten Rollenerwartungen.
Das liegt nicht an mangelndem Ehrgeiz oder schlechter Aufgabenverteilung, die „aus Versehen“ passiert. Vielmehr greifen hier tief verwurzelte gesellschaftliche Muster: Schon im Kindesalter werden Mädchen eher für ihr hilfsbereites, fürsorgliches Verhalten gelobt, während Jungen dazu ermutigt werden, Risiken einzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Diese Muster wirken später im Berufsleben fort – subtil, aber effektiv: Frauen übernehmen häufiger Aufgaben, die als „hilfreich“, „sozial“ oder „serviceorientiert“ gelten – auch dann, wenn sie dadurch nicht weiterkommen, keine Anerkennung erhalten oder Karrierechancen verpassen.
„Wenn wir wollen, dass mehr Frauen in Führung kommen, müssen wir aufhören, sie mit den Aufgaben zu betrauen, die keiner sieht – und die nichts zählen.“ – Prof. Linda Babcock, US-Ökonomin & Autorin von The No Club (2022)
Wie also umgehen mit diesem blinden Fleck im Arbeitsalltag? Sichtbar machen, verteilen, verändern!
Die unsichtbaren Aufgaben sichtbar machen: Wer übernimmt bei euch im Team regelmäßig organisatorische oder emotionale Zusatzaufgaben? Gibt es Muster? Wer springt immer ein, wenn es „unangenehm“ wird – und wer bleibt außen vor?
Einen kritischen Blick auf Bewertungssysteme werfen: Wird Teamarbeit genauso wertgeschätzt wie Projektleitung? Wird emotionale Intelligenz als Führungsqualität anerkannt? Oder zählen am Ende nur KPIs und Projektabschlüsse?
Strukturen schaffen, die diese Aufgaben fairer verteilen: Statt auf Freiwilligkeit zu setzen („Wer möchte das Protokoll schreiben?“), kann eine rotierende Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben eingeführt werden. So wird sichtbar, wer sich wie oft engagiert – und niemand bleibt dauerhaft in der Helfer:innenrolle.
Sensibilisierung von Führungskräften: Nur wer versteht, wie ungleich solche Aufgaben verteilt sind und wie stark sie Karrieren beeinflussen, kann bewusst gegensteuern. Dazu gehört auch die klare Botschaft: Diese Arbeit ist wichtig – und sie gehört auf viele Schultern verteilt.
Fazit: Zeit ist Karriere – Sichtbarkeit ist Macht
Wenn wir über Gleichberechtigung sprechen, dann sollten wir nicht nur über Förderprogramme oder Führungsquoten sprechen. Wir müssen auch die kleinen Stellschrauben im Arbeitsalltag in den Blick nehmen. Denn dort entstehen die Unterschiede, die sich über Jahre summieren.
Die Verantwortung liegt nicht bei den Frauen, die immer wieder Ja sagen. Sondern bei den Strukturen, die dieses Ja voraussetzen – und nie belohnen.
Frage dich also: Wie sieht das in deinem Team aus? Wer macht mit – und wer kommt weiter?
Dein Extra: Unser Aufgaben-Check für dein Team

Autorin: Sarah Günther
Auf einen Blick
- Unsichtbare Aufgaben im Arbeitsalltag kosten Zeit – und Karrierechancen. Frauen leisten im Schnitt über 200 Stunden pro Jahr in Tätigkeiten, die wichtig, aber nicht karriereförderlich sind.e dieser Tipps in Ihrem Bewerbungsverfahren umsetzen, leisten Sie bereits einen wichtigen Beitrag auf Ihrem Weg zu fairen und zukunftssicheren Prozessen.
- Hinter der ungleichen Aufgabenverteilung stecken gesellschaftliche Rollenmuster. Sie reproduzieren Erwartungen und blockieren strukturell den Zugang zu Führungsverantwortung.
- Unser Aufgaben-Check hilft, Muster sichtbar zu machen – und Veränderung anzustoßen. Teams können so ihre bisherige Aufgabenverteilung reflektieren und ein neues System für sich entwickeln.
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